Spezialisierung bringt Architekten und Innenarchitekten Vorteile

„Generalist versus Spezialist“ – ist früher oder später die Kernfrage, insbesondere bei kreativen Branchen, zu denen auch Architektur und Innenarchitektur zählen. Mein Beitrag greift die Spezialisierung und ihre Vorteile auf und ist gedacht als Ermutigung. Denn ein klarer Fokus sorgt für Momentum, mehr Freude und bringt am Ende bessere Kunden. Von mir ausgewählte Beispiele aus der Praxis zeigen, wie und dass es funktioniert.

Wohnhaus Belsenpark Düsseldorf von Caspar-Archi, Foto: utelatzke.com

Wohnhaus Belsenpark Düsseldorf (Caspar-archi), Foto: ute latzke

 
 

Alte Zöpfe abschneiden, braucht Mut

Architektur und Baubranche bieten vielfältige Aufgaben und den Kontakt zu unterschiedlichsten Menschen. Warum also solltet Ihr Eure Kreativität durch eine Spezialisierung beschneiden? Von wegen: vielfältige Herausforderung und so weiter… Gute Frage. Zum Anfang spricht tatsächliches vieles dafür, sich in der Breite auszuprobieren. Man sammelt Erfahrungen und legt ein solides finanzielles Fundament. Doch mit zunehmender Marktreife ist eine Spezialisierung sinnvoll, gerade vor dem Hintergrund von 40.000 Architekturbüros. Zumal es auch Durchstarter gibt, die schon im Studium wissen, wohin sie wollen und sich ab Bürogründung darauf konzentrieren. Dazu später mehr.

Ja, es erfordert Mut und Entschlossenheit, alte Zöpfe abzuschneiden und Ballast abzuwerfen. Doch damit wird klar: Was will ich für wen bauen, für wen nicht, wie und wo sollte ich das kommunizieren? Mit der Spezialisierung steht ein Büro für etwas Bestimmtes, sticht positiv heraus und wird mit der Zeit zur (Architekten)Marke. In Summe steigert das die Sichtbarkeit bei Interessenten.

 

Kreativen fällt es schwer sich festzulegen

Den Fokus zu begrenzen, bedeutet sich für etwas zu entscheiden und gleichzeitig gegen etwas. Gerade letztes fällt Kreativen schwer, weil sie befürchten, dass künftig Kunden wegfallen und Aufträge ausbleiben oder schlimmer: Es wird laaaaaaangweilig! Wird es nicht. Der Reiz liegt in der Vertiefung der Expertise und den damit einhergehenden (neuen) Aufgaben. Und für jene Tür, die wir schließen, öffnen sich neue. Das hab auch ich lernen müssen, denn zunächst war ich irritiert von der Spezialisierung bzw. Nische. Deshalb erklärte ich > diese zum Unwort des Jahres 2019. Nun, digitale Zeiten fordern Veränderung und ich bin lernfähig 😎.

Also: Nach einer Dekade Selbstständigkeit mit einer Vielzahl spannender Projekte erschien mir die Spezialisierung plausibel: Seit 2020 arbeite ich unter der Marke textart by ute Latzke als Kommunikationsexpertin für die Architekturbranche. Alles andere hab ich losgelassen, > Beispiele siehe auch hier. Etwas mulmig war mir schon dabei. Doch diese Entscheidung brachte Momentum für mein Business: Inzwischen werde ich der ganzen DACH-Region wahrgenommen und angefragt. (Dass dazu auch gezieltes Contentmarketing und rege Social-Media-Aktivitäten gehören, sei hier vernachlässigt.)

Spezialisiert auf Kommunikation für die Architektur und Innenarchitektur, Bild: mockuper.net

 
 

Auf die Architekturbranche heruntergebrochen

Macht eine Spezialisierung Sinn? Ich denke ja, mehr noch, ich finde sie zwingend. Wenn alle Architekturbüros ähnlich breit gefächerte Aufgaben und Leistungsspektren bearbeiten, wird es schwieriger sich abzuheben. Auch für Interessenten ist es dann nicht einfach, das passende Büro zu finden. Zumal auch die Kommunikation (fast) immer gleich gestrickt ist. Sicher, niemand lehnt eine – lukrative – Anfrage leichtfertig ab. Auch dann nicht, wenn das Team ein solches Projekt noch nicht realisiert hat oder wenig erfahren ist. Das betrifft auch die Teilnahme an Wettbewerben.

Ja: Ideenreiche Entwerfer und Planer stellen sich gerne Herausforderungen. Aufwand und Wirkung wären hier abzuwägen. Denn in den großen Architekturbüros mit 100 bis 600 Mitarbeitern gehört das zum Tagesgeschäft und ist machbar. Hier gibt Expertenteams für jeden Bereich und jede Bauaufgabe. Kleinere Büros und Solopreneure dürften eine zu große Bandbreite kaum stemmen, zumal in Topqualität.

 
 

So vielfältig wie die Menükarte vom Chinesen

Trotzdem gibt es viele mittelgroße oder kleinere Architekturbüros, die sich alle Bauaufgaben und -bereiche auf ihre Fahne respektive Website schreiben. Da kommt mir die Speisenkarte beim Chinarestaurant in den Sinn mit 99 Gerichten. Das liest sich etwa so, Achtung überspitzt: „Wir planen und realisieren (LP 1-9) Wohnungsbau privat und öffentlich, Schulbau, Museumsbau, Sporthallen, Einzelhandel, Gewerbe, Office, Studentenwohnheime, Infrastruktur, Feuerwehren, Bankgebäude, Sakralbauten. Außerdem sind wir stark in Masterplanung, Revitalisierung, Quartierentwicklung sowie bei Gutachten und Machbarkeitsstudien.“ Vielleicht listen viele Büros diese Bandbreite deshalb auf, weil sie annehmen, die Bauherren und Investoren erwarten das? Das ist nicht so. Und es könnte schnell wirken wie ein Bauladen, haha: „Bauchladen“.

 

Spezialisten für Baugruppen | Microwohnungen | Holzbau | Marketing Immobilienstartups

Das Architekturbüro raum z aus Frankfurt bearbeitet als Schwerpunkt Kitas und plant für Baugruppen. Letzteres war mir kein Begriff, hat mich aber gleich interessiert. Weil es eine Möglichkeit sein könnte, doch noch zu einer schönen Eigentumswohnung oder einem zum Haus zu kommen und dabei aktiv mitzugestalten. Zumal die Anzahl der vielen Bauherren dazu beiträgt, hochwertige und individuelle Architektur zu realisieren zu (halbwegs!) gesicherten Kosten.

Die Architektin Paola Bagna (> paolabagna.com) ist Spezialistin für den Umbau von Micro-Appartements. Diese gestaltet sie so, dass die Fläche optimal genutzt wird. Der Umbau von Altbauten erfordert oft massive Eingriffe, selbst bei Miniwohnungen wird alles auf den Kopf gestellt. Das erfordert Expertise und Liebe zum Detail. Bei steigenden Immobilienpreisen ist eine kreative Planerin wie Paola gefragt.

Die Innenarchitektin Marcella Vermeer ( > beyondbordersdesign.de) ist spezialisiert auf Wohnungen für Expats in Deutschland. Die aus den Niederlanden stammende Innenarchitektin lebt in Mannheim. Daher weiß sie, wie wichtig ein Wohlfühlort in der Fremde ist: Grundstein für ihre Marke, Beyond Borders Design.

Eine Spezialisierung auf Seiten von Dienstleistern, die für die Branche arbeiten, sind Olymp Consulting. Die Marketingagentur aus Berlin betreut Firmen aus der Immobilienbranche und gestaltet Branddesign sowie Websites. Der Fokus des Teams rund um Gründerin Carina Hahn liegt auf jungen agilen Startups. Es sind Menschen, die frischen Wind in die mitunter angestaubte Branche bringen. Die Spaß an der Digitalisierung sowie Social Media haben und die Nachhaltigkeit ernst nehmen. Das gilt für > Olymp Consulting und ihre Zielgruppe.

Ein weiteres Beispiel einer funktionierenden Spezialisierung ist das Architekturbüro Klaus Mäs aus Bornheim. Mehr darüber findet Ihr am Ende des Artikel.

 

Was ist mit zusätzlichen Kunden und Projekten?

Junge Architektin, Foto: Canva.com

Eine Möglichkeit für Neugeschäft ist die Teilnahme an Wettbewerben und VgV, wie oben bereits erwähnt. Beide sind oft Voraussetzung, um überhaupt beauftragt zu werden. Und es dient zur Qualitätssicherung, gerade auch bei öffentlichen Bauten. Und wenn ein Architekturbüro darin erfolgreich ist? Gratulation! Die Masse der Büros ist es aber nicht – vom Zeit- und Kostenaufwand eines Wettbewerbs ganz zu schweigen. Dann gibt es die Empfehlung, wovon mir Architekten gerne erzählen. Gut, Wettbewerbe und Empfehlung sind somit gängige Weg zu Aufträgen. Auf die Frage „Wie sieht es denn mit zusätzlichen bzw. selbst gewählten Projekten bzw. zusätzlichen Kunden aus?”, ernte ich oft Schweigen. Das setzt eben eine klare Positionierung voraus – kombiniert mit einer guten Website, starken Inhalten und Kommunikation auf Social Media, PR etc.

Die Reise des Kunden zum Architekten

Beispiel: Eine private Auftraggeberin, die sich eine Villa oder ein Eigenheim in nachhaltig ästhetischer Holzbauweise wünscht. Wie findet sie ein passendes Architekturbüro? Wohl kaum via Wettbewerb oder VgV, schon eher kommt sie über Empfehlungen ans passende Büro, gut. Unwahrscheinlich dürfte sein, dass sie sich durch alphabetische Listen auf den Websites der Architektenkammern kämpft! Vielmehr wird sie über Google suchen und Websites checken sowie Architekturbüros auf Instagram, FB, Linkedin oder houzz folgen. Vielleicht informiert sie sich noch in Printmedien. (Achtung: Bei Privaten dürften das kaum einschlägige „Fachmagazine“ sein, in denen Architekten so gerne veröffentlicht werden wollen!) Und was ist mit gewerblichen Kunden und der öffentlichen Hand, fragt Ihr? Auch die sind digital unterwegs. Zumal Entscheider nachrücken, die sind jünger und die Nutzung von Social Media ist da völlig normal.

 

In der Spezialisierung liegt Kraft

Schachfiguren schwarz und eine braune Figur (Bauer)

Herausragen aus der Masse bringt Vorteile, Foto: canva.com

Spezialisierung in Kombination mit dem Aufbau einer Architektenmarke kürzt den Weg zu Bauherren ab. Das gilt natürlich auch für Innenarchitektur. Vorausgesetzt, dass Leistungsfokus, Ziele und Werte feststehen und über eine attraktive Website sowie Social Media kommuniziert werden.

Abschließendes Beispiel ist Klaus Mäs. Bereits direkt nach dem Studium konzentrierte sich der Architekt auf Planung und Bau gehobener Eigenheime und Luxusvillen. Jetzt nach rund zehn Jahren kommen sogar Anfragen aus dem Ausland. Wie es dazu kam, was ihn inspiriert und wer seine Vorbilder sind, steht im „Interview mit Architekt Klaus Mäs | 10plus1 no 26”.

Auch interessant: Mein Artikel für das md magazin “Mensch Mach Marke” über die Kraft von Personal Branding in der Architekturbranche.

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