Klimafreundlich bauen mit Beton – Challenges und Chancen
/Beton ist das weltweit am häufigsten verwendete Baumaterial. Doch die Produktion verursacht CO2-Emissionen und belastet Wasser- und Sandvorkommen. Forschung und Industrie arbeiten an klimafreundlichen Alternativen und optimierten Herstellungsverfahren. Der Beitrag gibt einen Überblick über neue Ansätze und präsentiert Best Practice-Beispiele. (Artikel im Auftrag der dena.de und Gebäudeforum Klimaneutral)
Rezeptur mit schlechter Klimabilanz
Robust, formbar, druckfest, stabil – kein Material ist so vielfältig einsetzbar wie Beton. Das Gemisch aus Zement, Sand, Kies und Wasser erfüllt nach dem Aushärten alle bauphysikalischen, statischen und optischen Anforderungen. Doch die Herstellung ist energieintensiv: Bei der Zementproduktion wird Kalkstein gemahlen und im Brennofen auf 1450 Grad Celsius erhitzt. Dabei werden pro Tonne Zement rund 600 Kilogramm CO2 freigesetzt. Die 4,5 Mrd. Tonnen Zement, die im Jahr 2022 weltweit produziert wurden, haben demnach 2,8 Mrd. Tonnen CO2 verursacht (Quelle: BUND). Das sind 8 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Zudem kommen für den hohen elektrischen und thermischen Energiebedarf fast nur fossile Rohstoffe zum Einsatz.
200 Tonnen Sand fürs Eigenheim
In Deutschland liegt der Zementbedarf bei 28 Mill. Tonnen jährlich. Führt man sich ein Mischungsverhältnis des Betons von 1:4 (Zement und Zuschläge) vor Augen, vervielfacht sich der gesamte Rohstoffverbrauch. Allein für den Beton eines Einfamilienhauses werden 200 Tonnen Sand benötigt. Hinzu kommt, dass die Betonindustrie ein Zehntel des weltweiten industriellen Wasserbedarfs beansprucht.
Vor diesem Hintergrund scheinen ökologisches Bauen und Beton unvereinbar. Und manche werden einwenden, dass es seit der Entwicklung von Stahlbeton keine nennenswerten Innovationen gegeben hätte. Im Gegenteil: Es gibt längst Ideen und auch angewandte Verfahren, die Beton grüner machen könnten. Nur fehlt es vielfach an Öffentlichkeit oder Nachfrage. In diesem zweiteiligen Beitrag stellen wir die vielversprechendsten Konzepte vor.
Recycling: Nutzen, was bereits da ist
Von den etwa 220 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle (2020) sind 90 Prozent umweltverträglich verwertet worden, berichtet die Initiative Kreislaufwirtschaft Bau in ihrem Monitoring. Deutschland liegt damit deutlich über der EU-Vorgabe von 70 Prozent. 60,0 Millionen Tonnen davon sind recycelter Bauschutt, die hauptsächlich im Straßenbau verwendet oder anderweitig „downgecycelt“ werden. Nur etwa 0,6 Millionen Tonnen fließen laut VDI als Zuschläge in hochwertige Betone. In den USA, Belgien und vor allem in der Schweiz ist man experimentierfreudiger. Dort werden bis zu 15 Prozent des Betonbedarfs mit Recyclingbeton gedeckt.
45 Prozent der Rezyklate sind geeignet für Beton
Bei uns ist noch viel Luft nach oben: Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) geht davon aus, dass bis 45 Prozent der Gesteinskörnung im Beton durch Rezyklate ersetzt werden können! Gerade im Wohnungsbau seien vielfältige Anwendungen möglich, da eine chemische oder mechanische Beanspruchung nur bei wenigen Bauteilen relevant sei.
Öffentliche Auftraggeberinnen und Auftraggeber hätten laut dem Landesamt Vorbildfunktion. Deshalb sollten sie Recyclingbaustoffe bei Ausschreibungen und Vergaben von Bauleistungen bevorzugt berücksichtigen. Durch die regionale Zusammenarbeit von Bau- und Abbruchunternehmen, Recyclingbetrieben, Architektur- und Planungsbüros, Transportbetonwerken und Bauträgern könne der Baustoff-Kreislauf geschlossen werden. (Quelle: Broschüre LANUV NRW).
Hoher Anteil von Recycling-Beton bei Büro- und Laborgebäude
Der Erweiterungsbau des Umweltbundesamts in Dessau zeigt, dass mit Betonrezyklat hochwertige Architektur gelingt. Das Plus-Energie-Gebäude haben Anderhalten Architekten als massiven Beton- und Stahlbetonbau geplant. Von den angelieferten 3.000 m3 Beton bestehen 60 Prozent aus Recycling-Beton – bis dato ein Novum in Sachsen-Anhalt. Herausfordernd dabei war, einen Hersteller im Umkreis von 150 km zu finden. Andernfalls wäre wegen des zu langen Transportwegs herkömmlicher Beton zum Einsatz gekommen.
Zudem musste das Recyclingmaterial eine Korngröße von 8 bis 16 mm haben sowie vom Deutschen Institut für Bautechnik DIBt zugelassen sein. In Berlin wurde ein entsprechender Produzent gefunden.
Auch bei dem Laborgebäude der Universität Stuttgart (Pegasus) kam 45 Prozent Recycling-Beton zum Einsatz. Das Untergeschoss besteht ausschließlich aus RC-Beton
CO2 einfangen mit Carbon Capture
Deutsche und europäische Zementhersteller sowie der VDZ forschen an neuen Carbon-Capture-Technologien. Dazu gehört Carbon Capture & Storage (CCS) bzw. Carbon Capture & Utilization (CCU). Beide Verfahren fangen Kohlenstoff ein und lagern ihn unterirdisch ein oder nutzen ihn. Dafür wird eine Mischung aus Wasser und organischen Amin-Lösungsmitteln verwendet, die CO₂ absorbiert. Die erste CCS-Anlage soll 2024 in Betrieb gehen. Etwa 400.000 Tonnen CO₂ jährlich lassen sich damit abscheiden. Diese werden dann über eine Pipeline offshore in tiefe Gesteinsebenen geleitet und eingelagert. Diese Technologie soll sich auf alle Zementwerke weltweit übertragen lassen. Nutzen ließe sich abgeschiedenes CO2 z.B. für Feuerlöschanlagen oder als Zwischenprodukt in der chemischen Industrie und Wärmeversorgung (Quelle: Heidelberg Materials.)
Das Abscheiden von CO2 ist energieintensiv, deshalb sollte die gesamte CO2-Bilanz eines solchen Prozesses betrachtet werden. Zumal nicht alle geologischen Speicherorte geeignet sind und somit weite Transportwege erforderlich sind, heißt es im Factsheet 43 2023, vom Climate Change Center Austria.
CO2 in Betongranulat speichern. Einen spannenden Ansatz verfolgt neustark. Das Schweizer Unternehmen entfernt CO2 aus der Atmosphäre und speichert es dauerhaft in recyceltem Betongranulat. Die Methode basiert auf dem Prinzip der natürlichen Mineralisierung bzw. Karbonatisierung. Der Prozess dauert in der Natur sonst über 1000 Jahre und wird mit dem Verfahren auf wenige Stunden verkürzt. Dadurch vervierfacht sich die durchschnittliche CO₂-Aufnahme des Recyclingbetons. Es werden rund 10 kg CO2 pro Kubikmeter gebunden, auch der Zementanteil verringert sich.
Catch4Climate ist ein CO2-Abscheide-Projekt der Forschungsgesellschaft Cement Innovation for Climate (CI4C). Dabei wird Treibhausgas mit dem Oxyfuel-Verfahren eingefangen: Beim Brennvorgang von Kalkstein zu Klinker wird nicht die Umgebungsluft zugeführt, sondern reiner Sauerstoff. Weil hierbei kein Stickstoff in den Brennvorgang gelangt, entsteht hoch konzentriertes CO2. Dieses Abgas lässt sich einfacher reinigen und verwerten, etwa als reFuels. Das sind synthetische Kraftstoffe, wie beispielsweise Kerosin für den Flugverkehr, die mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden sollen. Für den Bau der Oxyfuel-Ofenanlage in Mergelstetten wurde Thyssenkrupp Polysius beauftragt. Sie soll 2024 in Betrieb gehen. Ziel sei es, 100 Prozent der CO2-Emissionen eines Zementwerks kosteneffizient abzuscheiden. Das Projekt soll zudem die Voraussetzungen für einen großflächigen Einsatz von CO2-Capture-Technologien in der Zementindustrie schaffen (catch4climate.com)
Leicht bauen, weniger Material verbrauchen
Das Ludwig Mies van der Rohe zugeschriebene Credo „Weniger ist mehr“, hat in Zeiten des Klimawandels an Wahrhaftigkeit gewonnen. Steht das geflügelte Wort doch dafür, dass verringern tatsächlich verbessern bedeuten kann. Das zeigt sich eindrucksvoll bei drei Verfahren, die den Materialbedarf im Betonbau reduzieren: Carbonbeton, Beton-3D-Druck und Gradientenbeton.
Carbonbeton ist ein aussichtsreicher Ersatz von Stahlbeton. Letzterer ist mit rund 100 Millionen Kubikmetern pro Jahr der wichtigste Baustoff Deutschlands. Ein Wechsel zu Carbonbeton würde eine Materialersparnis von bis zu 80 % ermöglichen. Dabei sollen sich der Energiebedarf sowie CO2-Ausstoß um bis zu 50 % reduzieren, ist die Initiative C3 (Carbon Concrete Composite) überzeugt.
Der Verbundwerkstoff aus Beton und einer Bewehrung aus Kohlenstofffasern ist leichter als Stahlbeton und trotzdem hochtragend. Die Carbonfasern bestehen aus 50.000 feinen Filamenten, die zu Langfasern und anschließend zu Garnen zusammengefasst werden. Diese werden daraufhin in einer Textilmaschine zu einem Gelege verarbeitet und mit einer Beschichtung versehen. Bauten aus Stahlbeton müssen nach etwa 40 bis 80 Jahren aufgrund von Rostschäden erneuert werden. Carbonbeton soll 200 Jahre und mehr halten.
Bisheriger Nachteil: Zur Herstellung von Carbon wird noch Erdöl genutzt. In Zukunft könnten dafür Lignine (Holzabfallprodukte) eingesetzt werden, heißt es. C3 zufolge ist Carbonbeton hochgradig rezyklierbar: Bereits mit den heute üblichen Anlagen können bis zu 98 % der Bewehrung aus dem Abbruchmaterial entfernt werden.
Der CUBE ist das bislang weltweit einzige Gebäude aus Carbonbeton. Die Wände bestehen aus 4 cm dünnen carbon-bewehrten Betonschalen, die im Fertigteilewerk vorproduziert wurden. Somit konnten die herkömmliche Betonmengen um 50 Prozent reduziert werden, und es ergaben sich Wandstärken von nur 27 cm Stärke. Beeindruckend und kühn ist der TWIST: eine mehrschichtige, geschwungene und in sich verdrehte Dach-Wandkonstruktion, deren Herstellung anspruchsvoll war.
Der zweigeschossige Neubau ist ein Bauforschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie C³ – Carbon Concrete Composite. Das Ziel ist, praxistaugliche Bauteile aus Carbonbeton zu konstruieren und herzustellen. Bauherr ist der Direktor des Institutes für Massivbau, Professor Manfred Curbach, Planer sind Architekten Ingenieure Bautzen
Beton-3D-Druck
Wie man leichter und mit Beton bauen kann und Material einspart, zeigt ein Pilotprojet der TU-Graz. Mit Beton-3d-Druck können erstmals Betonbauteile ohne Schalung, also ohne Gussformen, hergestellt werden. Leichte Elemente mit Wandstärken von nur 2 cm werden z.B. in Dach- und Deckenkonstruktionen mit herkömmlich verarbeitetem Beton ergänzt. Dieser soll nur dort eingesetzt werden, wo es die Tragstruktur und Statik verlangt. Mit den gedruckten Aussparungskörpern könne so aus einer Stahlbetondecke 40 Prozent Material eingespart werden sowie 50 Prozent CO2 -Äquivalente, heißt es. Mittlerweile ist es den Forschern gelungen, die Stahlbewehrung mitzudrucken. Auch an geschäumtem Beton arbeiten sie, um Material einzusparen und die Wärmedämmeigenschaften zu verbessern. Dieser lässt sich inzwischen auch durch den 3D-Drucker schicken, (tugraz.at)
Gradientenbeton Bauteile aus Massivbeton werden im Innern unterschiedlich stark belastet, manche Bereiche sind gar nicht bis wenig beansprucht. An solchen Stellen ist das Material überflüssig. Das Prinzip macht sich Gradientenbeton zunutze, indem Innenbereiche eines Bauteils entsprechend optimiert werden. Durch die Mörtel- und Betonzusammensetzung lassen sich Eigenschaften wie Festigkeit, Dichte oder auch Wärmeleitfähigkeit variieren. Das Bauteil wird durch die eingebrachten Leichtzuschläge, Poren und Hohlräume an den erforderlichen Materialbedarf angepasst, also funktional gradiert.
Der Rosenstein Pavillon ist der erste Prototyp, bei dem dieses Prinzip auf das gesamte Objekt angewendet wurde. In hoch belasteten Bereichen, in denen mehr Material benötigt wird, sind die Poren kleiner. Umgekehrt wird die Porosität an Stellen mit geringer Belastung erhöht, was den Materialeinsatz reduziert: Bei einer Fläche von 45 Quadratmetern ist die Betonschale nur 3 cm dick. Die Konstruktion besteht aus 69 Einzelteilen und ist mit einer Bewehrung aus Carbonfaser versehen. Die Forscher gehen davon aus, dass mit Gradientenbeton an Wänden und Decken 40 Prozent Material eingespart werden. Die Technologie ist eine Erfindung von Prof. Werner Sobek vom Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart (gradientenbeton.eu).
Materialreduktion durch Betonfertigteile
Eine weitere Möglichkeit, den Ausstoß von CO2 zu mindern, liegt im Einsatz von Spannbeton-Fertigdecken, Sandwichdecken und Ortbeton-Hohlwanddecken. Damit ließen sich laut InformationsZentrum Beton im Vergleich zu Massivdecken bis zu 50 Prozent Gewicht einsparen. Somit wird weniger Beton bzw. benötigt und folglich weniger CO2 verursacht. Auch Hybridkonstruktionen z.B. aus Beton und Holz in Kombination mit Vorfertigung verbessern die Ökobilanz (IZB).
Im 2. Teil des Beitrags „Klimafreundlicher Beton“ erfahrt Ihr, wie Wüstensand nutzbar wird und wie selbstheilender Beton funktioniert.
Außerdem stelle ich weitere innovative Forschungsprojekte und Unternehmen mit Pioniergeist vor, die sich mit Betonveredelung und Verfahren zur Reduktion von CO2 befassen. Jetzt > Grüner Beton: Wüstensand nutzbar machen und Risse mit Bakterien heilen – Innovationen fürs Bauen.