Architektin Katharina Benjamin im Interview | 10plus Fragen no 23
/„Ich kann Architekten/innen nur empfehlen, eine mit Bedacht gepflegte Webseite und aktive Social Media-Präsenz zu haben.“
Katharina Benjamin ist Architektin und Gründerin von Kontextur Leipzig. Sie studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar. Erfahrung sammelte sie u.a. bei Peter Zumthor in Haldenstein (CH) und als Projektkoordinatorin des XIV. Internationalen Bauhaus-Kolloquiums an der Bauhaus-Universität Weimar. 2017 gründete Benjamin die digitale Architekturplattform Kontextur. Seit 2019 arbeitet sie am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren I an der TU Dresden. Ihr Antrieb ist, einen besseren Dialog zwischen Architekturbranche und Gesellschaft zu ermöglichen.
1. Wären Sie nicht Architektin geworden, dann...?
Nach meinem Abitur war ich hin- und hergerissen. Nehme ich den Studienplatz für Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar oder studiere ich an der Uni Tübingen „Allgemeinen Rhetorik“. Glücklicherweise kommen bei der Arbeit für Kontextur meine Interessen für Raum und Kommunikation in einer für mich stimmigen Kombination zusammen.
2. Wer sind Ihre Vorbilder?
Meine Mutter und ihre drei Schwestern
3. Welche Persönlichkeiten inspirieren Sie?
Mich inspirieren purpose-oriented Unternehmer/innen wie Kristine Zeller und Kati Ernst von Ooia und im Bereich Architektur und Bauwesen sind es die Gründerinnen von Nidus Studio Annelen Schmidt-Vollenbroich und Ana Vollenbroich sowie die Gründer von Concular Dominik Campanella, Julius Schäufele. Und natürlich das Kontextur-Team – Angelika Hinterbrandner und Patrick Martin.
4. Welches Bauwerk beindruckt Sie?
Ich komme aus Köln, auch wenn es ein Griff in die Klischeekiste ist: Die emotionale Beziehung zum Kölner Dom ist wohl nicht zu übertreffen. Mittlerweile lebe ich in Leipzig und seit meiner Mitarbeit beim Festival Raster:Beton anlässlich des 40. Jubiläum der Grundsteinlegung der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau gilt mein großes Interesse der „Ostmoderne.“
5. Welche Bücher, Magazine, Serien oder Musikstücke etc. begeistern Sie?
Vor wenigen Tagen kam das Buch Zusammenhänge von Walter Belz bei mir an. Seine Gedanken zum Wesen und Zustand der architektonischen Profession gepaart mit der Vermittlung baukonstruktiver Grundlagen sind zwar schon ein paar Jährchen alt, aber höchst relevant. Während des coronabedingten Lockdowns habe ich viel von Juli Zeh gelesen: Unter Leuten, Neujahr, Corpus Delicti und Über Menschen.
6. Was bremst Sie aus in Ihrer Vision als Architektin oder kreative Gestalterin?
Der Zwang zur Beschränkung: Wer auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzt, wird argwöhnisch betrachtet und steuerrechtlich abgestraft. Dabei liebe ich die Vielfältigkeit meines beruflichen und privaten Alltags. Sei es als Angestellte und Selbständige, als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Content Creator oder Unternehmerin und Mutter.
7. Erzählen Sie uns etwas über „Kontextur". Warum haben Sie die Plattform gegründet?
Alen Marie Linnemann und ich haben Kontextur 2017 gegründet. Wir standen zu dieser Zeit kurz vorm Masterabschluss an der Bauhaus-Universität Weimar. Wir fühlten uns stimm- und sprachlos. Ich hatte ein kleines Kind zu Hause und merkte, wie ich die eng gesteckte Erzählung aus dem Architekturstudium nicht weiter bedienen wollte und konnte. Damit meine ich die Erwartung zur Aufopferung für die Architektur, die 24/7 Arbeitsmentalität und die Kultur der Nachtschichten. Kaum umsetzbar für Personen mit Kindern, Pflegeverantwortung oder Nebenjobs. Und dies alles vor dem Hintergrund, dass die Architektur ihre Bedeutung in der Gesellschaft und in der Bau-und Immobilienbranche zusehends einbüßt. Das Ziel von Kontextur war von Anfang, eine Plattform zu schaffen, auf der kritische und schwellenarme Dialoge in unterschiedlichen Formaten stattfinden können.
8. Kontextur ist auf Instagram mit knapp 80.000 Abos sehr erfolgreich. Wie wichtig sind Sichtbarkeit und eine starke digitale Präsenz für Architekturbüros, insbesondere Newcomer?
Super wichtig! Ich bekomme die Krise, wenn ich 2021 immer noch auf Webseiten lande, die nicht responsive, also nicht für mobile Endgeräte optimiert sind. Ich kann nur empfehlen, eine mit Bedacht gepflegte Webseite und aktive Social Media-Präsenz zu haben. Die Sozialen Medien haben sich stark verändert. Leute meiner Altersklasse suchen den Erstkontakt zu Restaurants, Unternehmen oder Architekturbüros gerne bei Instagram. Wir möchten uns aber auf den entsprechenden Accounts nicht nur informieren sondern auch in den Dialog treten. Sei es um einen Tisch zu reservieren, eine Kaufberatung für das Schranksystem zu bekommen oder eine erste Anfrage für das geplante Eigenheim oder den Umbau der gerade erworbenen Remise zu stellen.
9. Architektinnen, die Anerkennung ihrer Leistung, Gleichstellung und eine angemessene Bezahlung sind wichtige Themen. Was sind Ihre Erfahrungen?
(Anmerkung vorab: In einem 10plus1-Inverview mit Monika Lepel stimmte die Innenarchitekten dem zu, sagte aber auch: „Als Architektin sollte man Chancen nutzen und seine Interessen vertreten – auch gegen Widerstände. Das gehört dazu und ist erlernbar.“)
Ich habe es selbst erlebt und erlebe es auch im persönlichen Umfeld: Man ist solange nicht betroffen, solange man keine Kinder hat. Danach wird’s knackig. Schlechte Verdienstmöglichkeiten und eine hohe Arbeitsbelastung treffen auf unzureichend vorhandene Betreuungsmöglichkeiten. Entweder man kann das privat abfedern oder man hat halt Pech gehabt. Der Weg aus der Architektur ist leicht, der Weg zurück sehr steinig. Zu dem Thema finde ich die Studie der TU München „Frauen in der Architektur“ lesenswert.
Aber ich stimme Frau Lepel trotzdem zu: Man muss Chancen nutzen. Chancen bieten sich aber meistens nur da, wo nicht gesättigte Räume bzw. Märkte vorhanden sind. Mit Kontextur haben wir 2017 die Chancen, der sich gerade etablierenden Sozialen Medien genutzt. Damals konnte man mit einfachen Mitteln eine Präsenz aufbauen und sich vernetzen. Mittlerweile haben sich Konventionen und Qualitätsstandards durchgesetzt und es ist auch hier schwieriger geworden. Kontextur aufzubauen hat viel Durchhaltevermögen und Überwindung gekostet. Am Anfang hatte ich großen Respekt öffentlich zu sprechen. Intensives Stimm- und Präsentationstraining haben letztlich geholfen.
Noch ein letzter Satz zu den Chancen: Junge Büros brauchen Chancen, d.h. offene Wettbewerbe. Die Auslobungstexte beschränkter/nicht offener Wettbewerbe sind bewusst so geschrieben, dass nur umfangreiche und spezifische Referenzen Zugang gewähren. Hierzu gab es bei Kontextur eine spannende Diskussion mit dem Titel „Erstling“.
10. Sie haben als Architektin und Mensch drei Wünsche frei...
1. Die Abkehr von erdöl- und erdgasbasierten Bau- und Klebstoffen, 2. das Vermitteln von architektonischen und räumlichen Kompetenzen in der Schule. 3. Fördern von Erfahrungspartnerschaften zwischen jungen und erfahrenen Architekturbüros und mehr offene Wettbewerbe.
11. Was planen Sie mit Kontextur?
Kontextur ist dynamisch. Wir testen, ändern und verwerfen am laufenden Band. Aktuell planen wir, weiter in eine journalistische Richtung zu gehen. Eine Entwicklung, die sowohl inhaltlich konzipiert als auch finanziert werden muss.
◾ Weitere Informationen auf der Website kontextur.info sowie Instagram @kntxtr
◾ Hier geht es zu allen 10&1 Interviews by textart, zum textart Blog.