Grüner Beton: Wüstensand nutzbar machen und Risse mit Bakterien heilen – Innovationen fürs Bauen
Teil 2: Nachhaltiges Bauen mit Beton
Sand ist neben Zement und Wasser die wichtigste Ressource für die Herstellung von Beton. Was unendlich verfügbar scheint, ist längt ein knappes Gut: Jeder Mensch auf dem Planeten verbraucht pro Tag umgerechnet etwa 18 Kilogramm davon. Das Tragische: Nur ein Bruchteil des weltweiten Sandvorkommens eignet sich als Betonzuschlag. Einige clevere Erfindungen könnten das Rohstoffproblem lösen...
Bleibt immer noch das Thema Risse im Beton: Die Sanierung von beschädigten Brücken und Gebäuden verschlingt jährlich Milliarden von Euro. Was dagegen hilft, sind selbstheilende Betone. (Fachartikel im Auftrag der dena.de und Gebäudeforum Klimaneutral)
Die Gier nach Sand beherrschen lernen
Der weltweite Bauboom löst eine Sandkrise aus. Rund 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies verbraucht die Menschheit inzwischen pro Jahr. Das sind pro Person 17 Kilogramm täglich! „... genug Material, um eine Mauer rund um den Äquator zu bauen, 27 Meter hoch und 27 Meter dick,“ so Dr. Pascal Peduzzi, Director of Science, Umweltprogramm der Vereinten Nationen > UNEP. Und der weltweite Sandbedarf wächst jedes Jahr um weitere 5 Prozent. In Marokko und Indonesien sind mittlerweile ganze Strände und sogar Inseln verschwunden.
Auch in Deutschland wird Sand zur Mangelware. Entweder sind Vorkommen überbaut oder sie liegen in Naturschutzgebieten. Für ein mittleres Einfamilienhaus werden 200 Tonnen Sand benötigt, unvorstellbar. Wegen der feinen, abgerundeten Körner ist Saharasand leider kein geeigneter Zuschlag für Beton – bislang.
Drei smarte Konzepte, die Wüstensand
für Beton nutzbar machen
MultiCon: Bei dem Verfahren wird Wüstensand zu Pulver vermahlen und anschließend mit einem mineralischen Bindemittel zu Pellets granuliert. Eine Hochgeschwindigkeits-Mischtechnologie verarbeitet das Granulat zu qualitativ hochwertigen Betonsorten. Diese sollen bis zu 25 Prozent leichter sein, schneller erhärten und nach 24 Stunden doppelt so fest sein wie Standardbetone. Laut Hersteller > MultiCon verringert sich der Zementverbrauch um 40 Prozent und CO2-Ausstoß um 30 Prozent.
Polyblocks: Das Startup > Polycare aus Thüringen fertigt aus Wüstensand Bausteine, die aussehen wie Lego in groß. Als Bindemittel fungiert ein Kunstharz, das zu 30 Prozent aus recycelten PET-Flaschen besteht. Der Polymerbeton ist nach zwanzig Minuten druck- und biegefest, wasserdicht und frostbeständig. Es wird kein Wasser oder Mörtel benötigt und der CO2-Ausstoß soll 60 % niedriger sein als der von Zement.
Mit fünf verschieden großen Polyblocks sowie passenden Boden- und Deckenschienen sollen alle gängigen Haustypen realisierbar sein. Auch nach 20 bis 30 Jahren können die Steine wieder auseinandergenommen und neu aufgebaut werden. Dr. Gerhard Dust, Geschäftsführer bei Polycare rechnet damit, dass die Module 200 Jahre und länger halten. Damit ist das gesamte Konzept hochgradig zirkulär. In Namibia wurden bereits 100 Häuser realisiert, zu den Projekten. Ziel ist, bis 2025 rund 30 Produktionsanlagen in etwa 15 Ländern zu errichten und 10.000 Häuser pro Jahr zu bauen. Erfreulich: Seit Herbst 2021 hat Polycare die allgemeine Bauzulassung für Deutschland erhalten.
Finite: Eine Gruppe von Studenten des Imperial College in London hat einen Kompositwerkstoff auf Basis von Wüstensand entwickelt. Die Festigkeit soll vergleichbar sein mit Beton oder Ziegel. Das Material lässt sich in jede Form bringen und einfärben. Durch das organische Bindemittel als Zementersatz soll der ökologische Fußabdruck von > Finite deutlich kleiner sein als von Beton.
Bakterien und Enzyme reparieren
Risse im Beton
Obwohl Beton flexibel, widerstandsfähig und druckfest ist, hat er auch Nachteile – abgesehen vom CO2-Ausstoß: Durch geringe Zugfestigkeit und Zwangsspannungen bilden sich Risse. Die Sanierung von beschädigtem Beton schlägt jährlich mit Milliarden zu Buche. Basilisk Concrete ist mit kalkproduzierenden Bakterien versetzt, die die Risse verschließen. Dafür werden Bakteriensporen in zwei bis vier Millimeter großen Tonpellets eingekapselt.
Diese werden der Betonmischung beigemischt, zusammen mit separat eingeschlossenem Stickstoff, Phosphor und einem Nährstoff. Durch die Einkapselung ist sichergestellt, dass die Bakterien erst reagieren, wenn Wasser in die Betonkonstruktion eintritt. Das ist eine günstige und nachhaltige Lösung, um die Lebensdauer von Gebäuden, Brücken und Straßen zu verlängern. Auch der CO2-Ausstoß wird vermindert, geschätzt um 30 bis 50 Prozent. Erfunden hat die Technologie > Prof. Dr. Henk Jonkers von der TU Delft, zu den > realisierten Projekten, weitere Informationen: > microbiologysociety.org.
Enzyme: Anders als beim Basilik Concrete nutzen die Forscher des Worcester Polytechnic Institutes (WPI) unter Leitung von Prof. Nimah Rabar Enzyme für den selbstheilenden Beton. Das Enzym entstammt den roten Blutkörperchen und reagiert mit CO2. Dadurch entstehen Kalziumkarbonat-Kristalle, die in Struktur und Festigkeit den Beton nachahmen. Rahbar entschied sich für Enzyme, da Bakterien teurer sind und langsamer arbeiten. Es dauert bis zu einem Monat, um einen kleinen Riss zu heilen. Die Enzyme erledigen dies laut Rahbar in 24 Stunden. Der Forscher geht davon aus, dass > selbstheilender Beton die Lebensdauer einer Struktur von 20 auf 80 Jahre verlängern könnte. Das > Video zeigt, dass die Enzyme den Riss sogar innerhalb von sechs Stunden repariert haben.
Wir machen das – jetzt
Die Zementindustrie hat sich bis 2050 „Null CO2“ auf die Fahne geschrieben. In einem Zwischenschritt peilt die Global Cement and Concrete Association (GCCA) eine CO2-Reduktion von 25 Prozent im Jahr 2030 an. Ein wichtiger Schritt dabei ist das Abscheiden und Speichern von CO2 (Carbon Capture and Storage, siehe Teil 1 des Artikels). Das ist noch nicht flächendeckend erprobt und verfügbar. Aber es gibt längst vielversprechende Verfahren, um Beton klimafreundlicher zu machen, wie der zweiteilige Artikel darlegt.
Eile und Entschlossenheit sind geboten: Laut UN wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf 10 Milliarden Menschen anwachsen. Der Bedarf an Wohnraum und gebauter Infrastruktur ist gigantisch. Deshalb wird der Betonverbrauch weiter massiv steigen, auch weil nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Stroh und Lehm nicht ausreichen werden.
Um die Mammutaufgabe der Klimaneutralität in der Baubranche zu erreichen, braucht es zügigere Zulassungsverfahren und mehr Mut bei allen Beteiligten. Weg vom man müsste mal und hin zum: Wir machen das – jetzt.
Interessante Links
Celitement ist ein neuartiger Zement, der weniger Kalkstein und geringere Temperaturen im Herstellungsprozess braucht. Der CO2-Austoß ist geringer als beim klassischen Portlandzementklinker. Durch Zumahlstoffe wie Gips, Kalkstein oder Puzzolane lässt sich das CO2 zusätzlich verringern Celitement ist eine Kooperation zwischen dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie der Schwenk Zement KG und wird vom BMBF gefördert > Celitement.
Sonocrete Mittels Ultraschalltechnologie wird die Frühdruckfestigkeit im Beton um das Vierfache beschleunigt, wodurch CO2 eingespart wird. Schalungen können sechs Stunden eher entfernt werden, > sonocrete.com.
Carbonair ist ein kohlenstoffnegativer Zement von Whiterock Cement, bei dem durch Methanpyrolyse Wasserstoff erzeugt wird. Die Methanpyrolyse und die Zementtechnologie funktionieren sowohl mit Erdgas als auch mit erneuerbarem Erdgas (RNG), > Carbonair.
Algae-grown limestone concrete Hierbei ersetzt biologische gewonnener Kalkstein den aus Kalkstein aus Steinbrüchen. Portlandzement kann somit kohlenstoffneutral hergestellt werden, da CO2 von den Mikroalgen aufgenommen wird, Projekt der > University of Colorado Boulder.
Biorezeptiver Beton Verfahren, um Biozide zu minimieren und Pflanzenbewuchs auf Fassaden einzudämmen für widerstandsfähigen und wartungsarmen Beton, Forschungsprojekt des > BAM.
HiRes Concrete Slab Die HiRes-Betonplatte ist ein äußerst effizientes Strukturelement, das im 3D-Druck hergestellt wird. Im Fokus stehen hier die Material- und CO2-Reduzierung sowie eine spektakuläre Ästhetik, Projekt von Digital Building Technologies > DBT.
Foamwork Forschende der ETH Zürich fertigen mit dem 3D-Drucker Betonschalungen aus Mineralschaum. Sie sollen 70 Prozent weniger Material verbrauchen und besser isolieren als herkömmliche Schalungen, > Foamwork.
Ecocrete ist ein neuartiges Produkt von Heidelberger Beton mit bis zu 66% weniger CO2 als herkömmliche betone. Zum Konzept gehören die 100-prozentige Verwendung des eigenen Ökostroms HeiVoltage, die Nutzung von Recyclingwasser und die vollständige Rezyclierfähigkeit des Betons, > Ecocrete.
Respyre entwickelt biorezeptive Betonrezepturen, die das Wachstum von Moos auf Oberflächen ermöglicht. Moos fungiert als Luftfilter und speichert CO2. Respyre ist ein Spin-off der TU Delft Spin-off, der Fokus liegt auf der Schnittstelle von Biologie und Materialwissenschaft, > gorespyre.
Biobeton für vertikale Gärten. Wissenschaftler ersetzen Portlandzement durch einen leicht gesäuerten Biobeton. Dieser begünstigt die Entwicklung bestimmter Mikroorganismen wie Microalgae, Pilze, Flechten und Moose. Die ideale Grundlage für die Ausbildung vertikaler Gärten.
BioMason hat einen Biozement erfunden, der zu 85 Prozent aus Granit aus recycelten Quellen und zu 15 Prozent aus Biozement besteht, > BioMason.
Der klimafreundliche Zement basiert auf Belterra-Lehm, einem Nebenprodukt aus der Bauxitförderung. Dadurch soll sich der Ausstoß von CO2 um bis zu zwei Drittel senken. Ein Projekt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg > MLU.
Thiocrete ist ein langlebiges, chemisch beständiges (pH 1-12) und robustes Abwassersystem auf der Basis von Schwefelbetons. Schutzmaßnahmen wie Beschichtungen und Auskleidungen oder Verformungsmessungen sind nicht erforderlich, > Thiotube.
New Horizon ist eine Plattform für Urban Mining Concrete. Dabei soll Kreislaufwirtschaft zu einem neuen Wirtschaftsmodell entwickelt werden. Ziel ist, ein möglichst breites Angebot an Betonbaustoffen zu schaffen und 60-80 Prozent CO2 einzusparen, > New Horizon.
DAfStb Planungshilfe für den nachhaltigen Betonbau, > dafstb.
Concrete Sustainability Council ist ein globales Zertifizierungssystem für die verantwortungsvolle Herstellung von Beton, > csc.eco.
Klimaschutz-Konfigurator des IZB bietet Planenden die Möglichkeit, das Treibhauspotenzial von Betonbauteilen zu ermitteln und zeigt mögliche CO2-Einsparungen auf, zum > Konfigurator.
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